Fantasie und Vielfalt: Lübecker Sammlung Kulturen der Welt hinterfragt mit neuer Ausstellung das Indianerbild der Deutschen
Am 13. Juni eröffnet die Ausstellung „Fantasie und Vielfalt. Nordamerika in der Sammlung Kulturen der Welt“ im Lübecker Museum für Natur und Umwelt. Darin präsentiert die Lübecker Sammlung Kulturen der Welt in Kooperation mit dem Museum für Natur und Umwelt rund 100 ihrer 950 Objekte aus Kanada und den USA aus dem 18. bis 21. Jahrhundert, von denen viele noch niemals öffentlich gezeigt wurden. Auch Exponate von im 19. Jahrhundert nach Nordamerika ausgewanderten Lübecker:innen sind zu sehen. Damit möchte die Ausstellung einen kritischen Blick auf das verklärte „Indianerbild“ der Deutschen werfen und diese Klischeevorstellungen den realen historischen und heutigen Lebensbedingungen der Indigenen Nordamerikas gegenüberstellen. Die Schau wurde vom Direktor der Lübecker Sammlung Kulturen der Welt Dr. Lars Frühsorge kuratiert und ist bis 4. Januar 2026 zu sehen. Sie entstand in enger Kooperation mit dem indigenen Künstler David Seven Deers aus Kanada, Angehöriger der Halkomelem Salish First Nation, der parallel zur Ausstellung öffentlich im Domhof das Kunstwerk „The Spirit Canoe“ als Segnung für alle Lübecker:innen erschaffen wird.
Spätestens seit Karl May ist der Begriff „Indianer“ in Deutschland zum Synonym für Naturverbundenheit, Spiritualität und einem tragischen Freiheitskampf geworden. Obwohl hierzulande grundsätzlich positiv besetzt, ist das Indianerbild der Deutschen von bedenklichen Klischees und Verallgemeinerungen überfrachtet. Dies wird in der Ausstellung „Fantasie und Vielfalt“ schnell deutlich, da bereits die vergleichsweise kleine Anzahl der ausgestellten Objekte von rund 40 verschiedenen Ethnien Nordamerikas stammt und veranschaulicht, wie unterschiedlich die Kulturen sind.
Zu den Highlights der Ausstellung gehört zum Beispiel ein Schmuckband aus dem 18. Jahrhundert, vermutlich von den Irokesen, das zugleich das älteste Nordamerika-Objekt Lübecks darstellt. Es soll aus der Wolle einer heute bereits ausgestorbenen Waldbison-Art gewebt sein. Ein Tipi-Modell aus dem 19. Jahrhundert, noch aus der Zeit, bevor die Indigenen in Reservate deportiert wurden, ist mit mysteriösen spirituellen Symbolen und mit Darstellungen von Pferden und Menschen dekoriert, die von kriegerischen Heldentaten zeugen. Solche Modelle wurden üblicherweise von Vätern für ihre Töchter hergestellt, damit diese spielerisch den Auf- und Abbau eines derartigen Zelts erlernen konnten. Zudem ist eine Wolfsmaske von Vancouver Island zu sehen, die die spirituelle Bedeutung von Wölfen für die indigenen Kulturen Nordamerikas veranschaulicht.
Selbstverständlich kann und muss in diesem Kontext der Frage der Spiritualität nachgegangen werden: Wie ist mit der Tatsache umzugehen, dass einige der ausgestellten Objekte von den heutigen Indigenen als spirituell machtvoll angesehen werden? Dazu zählen in der Schau unter anderem Katchina-Figuren von den Hopi, die die Geisterwesen jener Ethnie zeigen, zum Beispiel die Mutter aller Katchinas, zuständig für die Fruchtbarkeit, oder den „Menschenfresser“ zum Erschrecken von Kindern. Exponate dieser Art werden speziell gekennzeichnet; weitere gar nicht erst gezeigt, aber aufgeführt.
Der Bestand der Lübecker Sammlung Kulturen der Welt enthält darüber hinaus einige Gegenstände von im 19. Jahrhundert nach Nordamerika ausgewanderten Lübecker:innen, die sie dem Museum schenkten. Unter ihnen finden sich erfolgreiche Unternehmer in New York, ein Naturwissenschaftler in Kalifornien, aber auch heute vergessene Personen wie der Lübecker Cowboy G. Gerlach oder der Kavallerie-Soldat A. Münzenberger, der nach dem amerikanischen Bürgerkrieg die erste Postkutschenlinie zwischen Texas und Mexiko errichtete. Auch ist ein Perlengürtel aus der Familie des berühmten Lakota-Häuptlings Red Cloud zu sehen, den diese einer aus Schleswig-Holstein ausgewanderten Krankenschwester schenkte. Im Zuge dessen wird der Frage nachgegangen, wie sich die Kulturen nach der Ankunft der Weißen verändert haben. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Gegenüberstellung einer 1.500 Jahre alten Pfeilspitze aus Stein mit einer 150 Jahre alten Pfeilspitze aus Glas, gewissermaßen die ersten Anfänge des Recyclings.
Und auch die Gegenwart findet Einzug in die Schau, beispielsweise mit einer Sammlung noch nie gezeigter Keramiken und Webarbeiten von namhaften indigenen Künstler:innen aus dem Südwesten der USA.
Sammlungsdirektor und Kurator Dr. Lars Frühsorge hat die Ausstellung so konzipiert, dass sie je nach Interessenslage auf bestimmten Pfaden abgeschritten werden kann: „Die große Faszination der Museumsarbeit ist ja, dass wir selbst über Objekte, die schon 100 oder 200 Jahre in Lübeck sind, noch immer neue Details entdecken, sie zum Teil erst heute richtig verstehen. Unsere Recherchen haben zudem gezeigt, dass ein und dasselbe Objekt je nachdem, unter welchem Blickwinkel wir es betrachten, ganz unterschiedliche Geschichten erzählt: über Kunst und Kultur, über Spiritualität, über das Verhältnis von Mensch und Natur, aber auch über die Veränderungen im Zeitalter des Kolonialismus. Wir haben ein System von Pfaden durch die Ausstellung erdacht, zum Beispiel den ‚Pfad der Natur‘, den ‚Pfad des Wandels‘ oder den ‚Pfad der Spiritualität‘. Mit entsprechenden E-Guides auf dem Handy - sowie auch analog in Form von Begleitheften - können unsere Gäste also je nach dem gewählten Thema eine andere, auf ihre Interessen maßgeschneiderte Ausstellung erleben“, so Frühsorge.
Vernissage
Die Ausstellung „Fantasie und Vielfalt. Nordamerika in der Sammlung Kulturen der Welt“ wird am Freitag, 13. Juni, um 18 Uhr im Museum für Natur und Umwelt eröffnet. Es sprechen der Ausstellungskurator und Direktor der Lübecker Sammlung Kulturen der Welt Dr. Lars Frühsorge, die Direktorin des Museums für Natur und Umwelt Dr. Susanne Füting sowie der kanadische Künstler David Seven Deers. Der Eintritt ist frei; es wird dennoch um die Reservierung eines Onlinetickets unter https://skw.die-luebecker-museen.de/veranstaltung-buchen?vid=10435 gebeten.
Begleitprogramm
Begleitend zur Ausstellung ist ein buntes Programm geplant: So findet regelmäßig mit dem bekennenden „Indianer“ David Seven Deers donnerstagabends das Format „Gespräche und Geschichten am Lagerfeuer“ im Domhof statt. Am 22. und 23. September ist ein Workshop geplant, in dem diskutiert werden soll, inwieweit ein Museum neben der Wissenschaft auch Raum für Spiritualität bieten kann. Außerdem ist am 1. Oktober der Wissenschaftliche Direktor des Karl May Museums in Radebeul Robin Leipold zu Gast, der über die Faszination der Deutschen für Indianer spricht und der Frage nachgeht, wie das Werk von Karl May heute zu bewerten ist.