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Ernst Eitner, Schilffeld an der Trave, 1893 © Privatsammlung

Ausstellung widmet sich erstmals Fischerdorf Gothmund als Kunstmotiv 

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Das Fischerdorf Gothmund an der Trave, das heute zu Lübeck gehört, zog seit Mitte der 1880er Jahre zunehmend Künstler:innen an, die hier Motive für ihre Malerei fanden: Mit den eng zusammenstehenden Fischerkaten und den Wegen, die zum Begegnungsort für Bewohner und Gäste wurden, sowie dem Ausblick in die Weite der Travelandschaft wurde Gothmund besonders für die Impressionisten zu einem über Generationen hinweg faszinierenden Malort. Nachdem es als solcher über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten war, wurde Gothmund von dem Lübecker Heiko Jäckstein, der seit 2013 dort malt und forscht, als Künstlerort wiederentdeckt. In Zusammenarbeit mit ihm sowie der Lübecker Historikerin Marlis Zahn haben Dr. Alexander Bastek und Jana Kunst vom Museum Behnhaus Drägerhaus nun die erste museale Ausstellung zu diesem Thema überhaupt kuratiert. Unter dem Titel „Gothmund. Fischerdorf und Künstlerort an der Trave“ ist die Sonderausstellung von Sonntag, 23. April, bis Ende des Jahres in den Kabinetträumen des Drägerhauses in Lübeck zu sehen. Die Schau wird in zwei Teilen gezeigt: Während bis zum Sommer der Fokus auf Gothmund-Motiven liegt, die zwischen Mitte der 1880er und Ende der 1920er Jahre an der Trave entstanden sind, sollen diese ab Ende August durch Werke ergänzt werden, in denen die am gegenüberliegenden Traveufer voranschreitende Industrialisierung thematisiert ist. Zudem soll mit Werken Heiko Jäcksteins der Bogen in die Gegenwart geschlagen werden.

Zu sehen sind insgesamt rund vierzig Werke von fünfzehn Künstlern und einer Künstlerin, darunter hauptsächlich Gemälde, aber auch Grafiken und Skizzenbücher. Die vier Haupthemen der Ausstellung reichen vom Nachbarort Israelsdorf als Künstlerwohnort über den Blick auf den Gothmunder Hafen, zu den Fischerkaten, ihren Bewohner:innen und deren Begegnungsorten, bis hin zum Ausblick in die Weite des Landschaftsraums.

Das früheste Werk der Ausstellung mit dem Titel „Fischerdorf Gothmund“ stammt von Gustav Wendling aus dem Jahre 1884. Zusammen mit dem Impressionisten Ernst Eitner zählt er zu den wohl bekanntesten Malern, die in Gothmund tätig waren. Auf der Suche nach neuen, unverbrauchten Landschaftsmotiven zogen Eitner von der Großherzoglichen Badischen Kunstschule Karlsruhe und Wendling von der Düsseldorfer Kunstakademie in den Sommerferien hinaus in die Natur. 1889 forderte Wendling seinen Malerkollegen Eitner auf, mit ihm nach Gothmund zu kommen, wo sie fortan immer wieder die Ursprünglichkeit des alten Fischerdorfes sowie das „einfache“ Leben der dort ansässigen Fischerfamilien künstlerisch festhielten. Diese Motive wurden zum Teil als Ölstudien direkt vor Ort gemalt und bilden so einen Anknüpfungspunkt an die Ausstellung „Mehr Licht. Die Befreiung der Natur“, die das Museum Behnhaus Drägerhaus in Kooperation mit dem Kunstpalast Düsseldorf ab dem 12. Juli 2023 in der Kunsthalle St. Annen zeigt.

Rund um Eitner, Wendling und weitere Maler entwickelte sich Gothmund zu einem Künstlerort, der im ausgehenden 19. Jahrhundert Kunstschaffende aus ganz Deutschland anzog. Durch die fortschreitende Industrialisierung an der Trave fand die Idylle jedoch ein Ende und viele der jungen Maler zogen weiter, um sich an anderen Orten niederzulassen. So waren es Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr hauptsächlich die „Auswärtigen“, die Gothmund besuchten. Zunehmend malten dort nun Lübecker Künstler:innen, insbesondere aus der Malklasse Willibald Lütgendorffs. 

Der zweite Teil der Ausstellung, in dem der Blick auf die veränderte, industriell-geformte Trave-Landschaft und die Arbeiten Heiko Jäcksteins gerichtet wird, ist ab dem 28. August zu sehen. In Jäcksteins Bildern wird deutlich, dass Gothmund auch heute noch Inspiration für künstlerische Arbeiten und Austausch vor Ort bietet.

Die Ausstellung „Gothmund. Fischerdorf und Künstlerort an der Trave“ präsentiert zusammen mit einem Begleitheft und einem digitalen Vermittlungsformat die Forschungsarbeit von Heiko Jäckstein und Marlis Zahn, die in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Arbeiten einiger Dutzend Künstler:innen motivisch dem Fischerdorf Gothmund, dem Nachbarort Israelsdorf und der näheren Trave-Umgebung zuordnen konnten. „Die Schau soll auch zu Diskussionen anregen, da der künstlerische Blick auf Gothmund im Wandel der vergangenen 150 Jahre zugleich den Wandel von Natur- und Kulturlandschaften allgemein vor Augen führt und deren Gefährdung durch den Menschen verdeutlicht“, erklärt der Leiter des Museums Behnhaus Drägerhaus Dr. Alexander Bastek. 

Vernissage
Die Ausstellung wird am Sonntag, 23. April, um 11.30 Uhr im Museum Behnhaus Drägerhaus eröffnet. Nach einleitenden Grußworten von Lübecks Kultursenatorin Monika Frank und dem Leitenden Direktor der LÜBECKER MUSEEN Dr. Tilmann von Stockhausen, führt das Kuratorenteam Dr. Alexander Bastek, Jana Kunst, Heiko Jäckstein und Marlis Zahn durch die Schau und steht im Anschluss für Fragen und Diskussionen zur Verfügung.

Begleitprogramm
Begleitend zur Ausstellung ist ein Programm mit sonntäglichen Führungen, Mittagsführungen jeweils mittwochs um 12 Uhr sowie Ausflügen nach Gothmund geplant. Zudem gibt Heiko Jäckstein am 9. Mai um 18 Uhr in einem Vortrag künstlerische Einblicke in das Fischerdorf Gothmund und den Künstlerwohnort Israelsdorf.

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Zweiter Teil der Gothmund-Ausstellung im Museum Behnhaus Drägerhaus widmet sich ab 29. August der Industrialisierung an der Trave:

Seit 23. April 2023 ist im Museum Behnhaus Drägerhaus in Lübeck die Ausstellung „Gothmund. Fischerdorf und Künstlerort an der Trave“ zu sehen. Sie widmet sich als erste Schau überhaupt dem Thema Gothmund als Kunstmotiv und kann gute Besuchszahlen verzeichnen.  War in der ersten Ausstellungsphase der Schwerpunkt auf Gothmund-Darstellungen der 1880er bis 1920er Jahren u.a. der Impressionisten Ernst Eitner und Gustav Wendling gelegt, wird dieser nun im zweiten Teil der Ausstellung ab Dienstag, 29. August, um das Thema „Ende einer Idylle? Industrialisierung an der Trave“ mit Werken der veränderten Darstellung Gothmunds im 20. Jahrhundert ergänzt. 13 Gemälde aus dem ersten Teil der Ausstellung werden abgehängt und unter anderem durch Werke Lübecker Künstler:innen ersetzt, die im 20. Jahrhundert unter dem Eindruck der Industrialisierung in Gothmund tätig waren. Mit dabei sind auch Gemälde des Künstlers Heiko Jäckstein, der aktuell in Gothmund forscht und die Ausstellung zusammen mit Marlis Zahn kuratiert hat.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden am nördlichen Traveufer von Dänischburg bis Herrenwyk weitläufige Industriegebiete, flankiert von einer neuen Eisenbahnstrecke. Nahe der Stadt wurde das Travewasser durch die Abwässer der neuangesiedelten Industrie immer mehr verunreinigt und führte so um 1930 zu einer regelrechten Notlage der Fischer, deren Fänge stetig nachließen. Mit dem sichtbaren Ende der Idylle Gothmunds ging auch die Abwanderung der Künstler:innen einher, die sich bis zu diesem Zeitpunkt noch von der malerischen Flusslandschaft des Fischerortes inspirieren ließen. So waren es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hauptsächlich nur noch Lübecker Kümnstler:innen, insbesondere aus der Malklasse Willibald Leo von Lütgendorff-Leinburgs, die in Gothmund malten. Ursprünglich angelockt durch die Natur und die Abgeschiedenheit, wurde nun für einige Kunstschaffende auch der menschengemachte Wandel der Landschaft zum Motiv ihrer Arbeiten. Die Ölmühle in Siems gegenüber der Herreninsel wurde ebenso festgehalten wie das Hochofenwerk im Stadtteil Kücknitz-Herrenwyk. In dem Aquarell „Flenderwerft“ widmete sich 1981 mit Fritz Witt ein Gothmunder Künstler den Veränderungen seiner Heimat. Als Sohn eines Gothmunder Fischermeisters ließ er sich von den auswärtigen Künstler:innen in seinem Dorf begeistern und wurde selbst Lehrer und Maler. Immer wieder kehrte er zurück und dokumentierte seine zahlreichen Heimatbesuche in Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen.

Auch wenn es auf den ersten Blick manchmal so scheint, ist die Zeit in und um Gothmund nicht stehen geblieben. In den Fischerkaten wohnen nun nicht mehr hauptsächlich Berufsfischer. Die Ställe, in denen früher mal ein Schwein, eine Ziege oder Hühner untergebracht waren, dienen heute, wenn noch vorhanden, als kleine Werkstätten. Die Fischerkate Nr. 19, die Christian Rohlfs 1899 mehrfach malte, befindet sich heute als begehbares Ausstellungsstück im Landesmuseum Molfsee. Auch der Blick aus dem Dorf über die Trave hat sich verändert und so schaut man heute auf der gegenüberliegenden Traveseite auf den Lehmannkai, wo eine viel diskutierte Erweiterung um mehrere Hallen geplant wird.

Dennoch sind einige Dinge auch heute noch unverändert: Die Teilung Gothmunds nach dem Brand 1893 in einen „neuen“ und einen „alten“ Teil ist heute noch sichtbar, ebenso wie die alten Gothmunder Reetdachkaten aus dem 18. Jahrhundert. Und auch die malerischen Motive sind nicht verschwunden, wie die Werke Heiko Jäcksteins beweisen: Seit 2013 spürt der Künstler ihnen nach und blickt aus der Gegenwart auf einen Ort, der schon vor 150 Jahren so viele Künstler:innen faszinierte. Über 250 Bilder sind von seiner Hand in den letzten zehn Jahren in Gothmund, Israelsdorf und der Traveregion entstanden. Sie zeigen bekannte Motive, wie den Hirtenteich in Israelsdorf – jetzt ohne tausendjährige Eiche –, den Blick über die Trave – jetzt mit Bagger im Hintergrund – und Bewohner:innen Gothmunds aus der Vergangenheit und Gegenwart auf eine ganz neue Art und Weise. Durch seine Werke wird deutlich: Gothmund bietet auch heute noch Inspiration für künstlerische Arbeiten und Austausch vor Ort. 

Die Ausstellung ist bis Samstag, 30. Dezember 2023, in den Kabinetträumen des Drägerhauses zu sehen.