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Der General im Urlaub
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Sonderausstellung „Manaf Halbouni –  Ostwind“ in der Kunsthalle St. Annen

Pressemitteilung als PDF

„Es geht jetzt darum, wie man miteinander umgeht. Ob man sachlich diskutieren kann.“ 
Manaf Halbouni

Ein politischer Künstler zu Gast in Lübeck: Vom 29. August bis 8. November widmet die Kunsthalle St. Annen dem zeitgenössischen Künstler Manaf Halbouni erstmals eine museale Einzelausstellung. Die speziell für das Lübecker Museum für Kunst nach 1945 bis zur Gegenwart entwickelte Schau wird verschiedene Werkgruppen vorstellen. Hierbei bezieht Halbouni die Sammlung der Kunsthalle ein. So erscheinen zum Beispiel die Werke von E.W. Nay, Horst Münch, HA Schult und Peter Klasen in neuen Verbindungen zum Schaffen des Künstlers. Darüber hinaus hat Halbouni zehn Künstlerselbstporträts aus der Schenkung Leonie von Rüxleben ausgewählt, die in der Ausstellung zusammen mit seinen Selbstporträts als General gezeigt werden. Zu sehen sind Fotografien, Videoarbeiten, Grafiken, Gemälde und installative Arbeiten.

Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler setzt sich der 1984 in Syrien geborene Manaf Halbouni mit dem Zustand der Demokratie und der Frage nach einer offenen Gesell-schaft auseinander –  in Europa und darüber hinaus. Der vorwiegend in Dresden lebende Künstler beschäftigt sich in seinen Werken unter anderem mit seinen Erinnerungen an den Bürgerkrieg in Syrien. Des Weiteren finden Themen wie Migration, Freiheit und Demokratie Resonanz in seiner Arbeit. 1984 als Sohn einer Deutschen und eines Syrers in Damaskus geboren, musste er als Kriegsdienstverweigerer Syrien verlassen.

Halbounis Schaffensprozesse in Bildhauerei, Zeichnung und Video reflektieren seine Le-benserfahrung zwischen der arabischen Welt und Europa. Besonders mit dem Projekt „Mo-nument“, drei vertikal vor der Frauenkirche in Dresden und später vor dem Brandenburger Tor in Berlin positionierten Bussen, erregte der Künstler 2017 nationale wie internationale Aufmerksamkeit.

Die künstlerische Auswahl der Sammlungsexponate für die Ausstellung „Manaf Halbouni –  Ostwind“ bezieht sich vorzugsweise auf dunkel gestaltete Kunstwerke, deren erdige Monochromie in der Zusammenschau mit Halbounis Installationen den eintönigen Alltag in Kriegs- und Friedenszeiten reflektiert. Raffael Rheinsbergs Collage Zone von 1984 zum Beispiel zeigt Tintenabdrücke menschlicher Körperteile auf Transitvisa durch die DDR. Halbouni interessiert sich sowohl für Transit als Zustand der Ortlosigkeit als auch für Relikte nicht mehr existierender Länder. Dies drückt sich in der Soundinstallation Echoes aus. Hierin beschäftigt sich der Künstler mit Staaten, die es zwischen 1900 und 2000 als geografisch und politisch bestimmbare Orte gab und die heute verschwunden sind. Die Installation besteht aus Radios, aus denen die Nationalhymnen der 21 vom Künstler gefundenen Staatenbeispiele ertönen. 

Die für die Ausstellung neu geschaffene Installation Shifting Values orientiert sich an alltäglichen Materialien. Sie besteht aus vier Sicherheitspylonen, wie sie als Blockaden für Eingänge von Botschaften oder anderen geschützten Gebäuden verwendet werden. Beim Hoch- und Runterfahren spielen diese jeweils eine Original-Tonsequenz ab. Vernehmbar ist beide Male: „Wir sind das Volk“. Beim Hochfahren der Pylonen hört man eine Intonation dieser Worte, die bei einer Pegida-Demonstration im Jahr 2014 aufgenommen wurde. Beim Runterfahren erklingt die Aufnahme einer Versammlung von Menschen in Leipzig aus dem Jahr 1989, die die politische Parole skandierten, um für die Öffnung der DDR-Grenzen, für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. 1989 also (Poller fahren runter) fordert das Volk die Öffnung, 2014 (Poller fahren hoch) die Schließung einer Grenze. Die massive Sound-Installation Shifting Values macht durch die unmittelbare Gegenüberstellung dieser gegensätzlichen Forderungen auf die veränderte Sichtweise innerhalb eines Zeitraums von 25 Jahren aufmerksam und thematisiert zugleich die Blockade und Einschränkung, die durch das Schließen nationaler Grenzen entsteht –  und die Tendenz dazu setzt sich bis heute fort. Dies ist ein Prozess, den Halbouni in verschiedenen Arbeiten kritisch betrachtet. Zahlreiche Arbeiten Halbounis werden in der Kunsthalle St. Annen zum ersten Mal gezeigt.

In einer Zeit, in der antisemitische Äußerungen, Gewalt gegen Migrant:innen, liberale Politiker:innen und People of Color sich häufen und über die sozialen Medien verstärkt sichtbar werden, ist das Neustellen der bestehenden Frage nach dem politischen Gehalt der Kunst berechtigt. Die politische Debatte ist ein zentraler Teil des künstlerischen Geschehens der Gegenwart, das ja immer mitten aus einem gesellschaftlichen Gefüge entspringt. Die Ausstellung fällt in eine Phase vermehrter Demonstrationen demokratiefeindlicher Verschwörungstheoretiker:innen. Sie fällt auch in die Zeit der zu neuer Eindringlichkeit erweckten Black Lives Matter-Bewegung, die nach der brutalen und tödlichen Verhaftung des Afroamerikaners George Floyd weltweit neuen Aufwind und große Sichtbarkeit erlangt.

Für Kulturinstitutionen und Künstler:innen ist es wichtig, Haltung zu zeigen. Hierzu gehört das gleichberechtigte Ausstellen von Künstler:innen, die ihre Praxis aus unterschiedlichen kulturellen Perspektiven innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Vielschichtigkeit, in Deutschland und im globalen Kontext, betrachten. Als Künstler, der zwischen Syrien und Deutschland aufgewachsen ist, bietet Manaf Halbouni relevante Perspektiven auf die Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Europa. Die Kunsthallen-Leiterin und Kuratorin der Ausstellung Dr. Antje-Britt Mählmann freut sich: „Dieser Künstler ist nahe am Zeitgeschehen und an globalen politischen Entwicklungen. Jene Inhalte vermag er in einer einzigartigen Mischung aus Ernst und Humor in seiner Kunst darzustellen. Mit dieser Ausstellung möchten wir zum Nachdenken über demokratische Werte wie Freiheit und Toleranz anregen!“

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Antje-Britt Mählmann, Lotte Laub und einem Künstlerinterview mit Manaf Halbouni von Ann-Kristin Jürgensen.


Begleitet wird die Ausstellung von einem vielfältigen Rahmenprogramm, dessen Ak-tualität aufgrund der derzeitigen Pandemiesituation allerdings stets kurzfristig auf der Homepage der Kunsthalle St. Annen zu überprüfen ist.

Vernissage
Die Ausstellung wird am 29. August um 11 Uhr im Beisein des Künstlers eröffnet. Auf-grund der durch die aktuellen Sicherheits- und Hygienevorschriften begrenzten Perso-nenzahl ist die Vernissage bereits ausgebucht. Da es den LÜBECKER MUSEEN wichtig ist, trotz dieser Personenbeschränkung niemanden zu benachteiligen, soll es von der Eröffnung eine Video-Aufzeichnung geben, parallel dazu aber auch ein zehnminütiges Video, das wertvolle Hintergrundinformationen und Interviews beinhaltet und somit sogar für die physischen Besucher:innen der Veranstaltung einen Mehrwert bringt. Diese sind nach dem Termin unter www.kunsthalle-st-annen.de abzurufen.


Begleitprogramm
Führungen durch die Sonderausstellung am 13. und 27. September sowie am 11. und 25. Oktober, 15 Uhr, Teilnahme 12 Euro
Einführung für Multiplikatoren am 7. September, 15 Uhr, für Lehrer:innen kostenfrei
Meet Art! Goes East, Führung für Interessierte ohne Kunstvorkenntnisse in lockerer Atmosphäre, 15. Oktober, 16 Uhr, Teilnahme 12 Euro
Führung MuseumsMomente am 17. Oktober, 15 Uhr, Teilnahme 12 Euro
Finissage: Hausleiterführung am 8. November, 15 Uhr, Teilnahme 12 Euro
What If ? – ein Gedankenspiel, Buchbares Angebot für Schulklassen in Kooperation mit dem Willy-Brandt-Haus, 90 Min. Führung inkl. Workshop, Teilnahme 45 Euro zzgl. 1,50 Euro pro Schüler:in (2 Begleitpersonen frei)
Solitide, ein Zyklus funkelnder Werke für Solo-Violoncello am 30. August, 27. September, 31. Oktober, 29. November sowie am 20. Dezember, jeweils um 15 und 17 Uhr, mit Einführung